Berlin: Neue Nachbarn im Kiez –zum Szene Späti Lenaustraße5

„Wird groß! Wir haben so richtig gute Laune. Das Feedback aus dem Kiez ist awesome und die die direkten Nachbarn*innen sind auch maximal sympathisch. Bestes Setting auf jeden Fall.“
Was so klingt als wenn ein 52jähriger Sozialarbeiter krampfhaft versucht sich in das socialmedia Geschehen von 20-jährigen einzumischen, war die Ankündigung für den neuen sogenannten linken Spätkauf in der Lenaustraße 5 in Neukölln. Nicht zufällig liegt dieser Laden in einem Kiez der durch gnadenlose Gentrifizierung in den letzten 20 Jahren seiner letzten billigen Kneipen und Cafés beraubt wurde. Ausgerechnet hier hat sich die Berliner Antifa-Szene was ganz „Großes“ überlegt: einen Spätkauf, wohlgemerkt „links“…
Annika und Johannes* von der Antifa haben nämlich festgestellt das es an Orten fehlt. Für wen? Natürlich nicht für Menschen die jeden Tag im Billigsektor und prekären Jobs ausgebeutet werden, denen es an Arbeitserlaubnis und bezahlbaren Wohnraum fehlt. Es geht viel mehr um „die Szene“, wo Annika und Johannes mit Paul und Anton darüber diskutieren dürfen das es „den Anderen“ ja so schlecht gehen würde und Revolution die einzige Möglichkeit sei. Dabei verbleibt es in dieser Rollenverteilung, die eigenen Privilegien werden im vom AStA und der Rosa Lux Stiftung finanzierten Wochenendseminar in Brandenburg reflektiert, man will guter „ally“ sein um dann seinen „Aktivismus“ den Anschein zu verleihen irgendwie doch „radikal dagegen“ zu sein. Murat und Paweł bleiben dabei Projektionsflächen denen man „helfen“ will sie aber weiter durch manchmal mehr, manchmal weniger subtile Mechanismen schön raus hält. Dabei hört man Haftbefehl und trägt Adidas Jogginghosen mit billigen fake Goldkettchen um der eigenen Tristesse der bürgerlichen Herkunft zu entfliehen als wäre man in Gropiusstadt und nicht im Einfamilienheim in Tübingen aufgewachsen.
Das Problem ist die grundsätzliche Selbstverortung dieser Linken, die sich mehr als subkulturelle Spielwiese für Akademiker Kinder versteht, welche nach ihrer Zeit im AStA der Berliner Universitäten ein neues Betätigungsfeld brauchen. Wohlgemerkt nicht, um sich mit den geknechteten Menschen zu zu verbünden und sich gemeinsam gegen die Unzumutbarkeiten des Kapitalistischen Alltags zu organisieren. Nein, es geht darum mitten im gentrifizierten Kiez bei einer Mate und selbstgedrehter Kippe mit Öko-Tabak über den eigenen Szenesumpf zu quatschen: das neueste Kampfsport Event oder den „spannenden“ Artikel im Drecksblatt JungleWorld zu diskutieren, was für coole Sneaker gerade im Angebot sind und wie schade es doch ist das „der Nahostkonflikt“ so die Szene spaltet. Der nächste Strandurlaub in Tel Aviv ist dabei „spannender“ als sich mit Rassismus und Apartheidsmechanismen auseinanderzusetzen. Lebensrealitäten der marginalisierten Menschen aus Neukölln oder anderen Bezirken kennen diese „Szeneleute“ nur aus SpiegelTV Dokus. Näher kommt man damit nicht in Berührung, das soll auch schön so bleiben, Neukölln bleibt wie das Goldkettchen ein Accessoire das man bei Zeiten auch schnell wieder ablegen kann.
Neukölln braucht keine Antifas die nun auch das letzte mehrheitlich migrantische Gewerbe unterwandern und den Druck auf diejenigen die versuchen sich mit Kippen und Bier über Wasser zu halten noch mehr in die Ecke drängen. Erst waren es die runter gerockten Altbauwohnungen wo Thomas sein schickes Rennrad an die Wand hängen durfte, nachdem die libanesische Familien erfolgreich raus geklagt wurde. Nun sind die Spätis dran. Ihre mangelhafte Reflexionsfähigkeit zur Frage der Konkurrenz in einem knallharten Markt der Spätis haben sie im Artikel gegenüber dem Neuen Deutschland schon zum besten gegeben : „Wir wurden hier richtig herzlich aufgenommen.“
Diese Aussage könnte auch von Marie und Marc stammen, die sich gerade mit Papis Geld eine schöne Eigentumswohnung geklärt haben, nachdem der Verkäufer die Jobcenter Kunden erfolgreich raus geklagt hatte. Das niemand sie aus dem Kiez jagt sagt eher was darüber aus das sich die Kräfteverhältnisse schon vor langem gedreht haben. Eindeutig zugunsten einer neuen weißen Mittelschicht aus Studis und hippen Kleinfamilien, und nichts darüber ob sie eine Konkurrenz für die anderen Spätkaufs darstellen.
Antifa ist in Berlin auf dem absteigenden Ast, und dieses Projekt stellt mal wieder unter den Beweis das sie dabei immer noch nicht begriffen haben, dass sie die Kämpfe und Schwierigkeiten der einfachen Leute in Kiezen wie der Lenaustraße verschlafen haben.
Wie Sozi36 auf insta schrieb #notallantifas (in seiner Kritik an einem Konzept der 00er Jahre („Rechte in den Mittelpunkt der eigenen Betrachtung der Welt zu stellen, scheint Rezept für fail zu sein“) aber fast alle haben immer noch nicht begriffen das ihr „Aktivismus“ wesentliche soziale Veränderungen in unser Gesellschaft verschlafen hat.

Die Chance, einen Anlaufpunkt zu schaffen und sich nachhaltig mit Menschen zu verbünden, die vom Jobcenter Neukölln tagtäglich drangsaliert werden, denen die GASAG mal wieder das Konto pfänden will und die alle 3 Monate um die Verlängerung ihrer Duldung durch die Ausländerbehörde bangen müssen, hat man sich ein neues Vereinslokal geschaffen. Nur warum wundert man sich warum niemand das neue Szeneblatt lesen will (»Da braucht es einfach ein bisschen Geduld«, so Markus im ND). Die Antifas haben sich wohl eingerichtet in ihrer „Szene“ und fragen sich dann in absurden critical whitness workshops warum ihre Hausprojekte so „weiß“ und „bürgerlich“ seien, während der Spätkauf um die Ecke vom Mindestlohn träumt, Angst vor der nächsten Stromrechnung hat und zukünftig jeden Abend noch weniger Sternburg 0,5 verkaufen wird da die Linken um die Ecke jetzt auch Pale Ale anbieten für das hippe Feierpublikum in „Kreuzkölln“.

An die Spätkauf Crew: Verfallt jetzt bitte nicht in Selbstmitleid sondern werdet aktiv wenn ihre eure Ziele als Linke ernst nehmen wollt. Anstatt also sinnlose Spätkaufprojekte auf die Beine zu stellen sollte solche Ressourcen mal ausnahmsweise an die gehen, die bisher immer leer ausgingen wenn der AStA oder andere mal wieder Geld verteilen: migrantische Gruppen, Initiativen von Schwarzen Menschen und PoCs die sich gegen Rassismus uns Ausbeutung organisieren, die eine Verbindung zu den Leuten in diesen Stadtteilen haben und nicht als Sperrspitze der Gentrifizierung mit Bio-Mate in den Kiez einfallen. Öffnet eure Szene und euren für Gruppen die von Rassismus und Gentrifizierung betroffen sind, legt eure Scheuklappen ab und hört mal zu, gebt eure Machtpostionen auf und teilt die Ressourcen mit Gruppen die gesellschaftlich marginalisiert werden und im Strassenbild von Neukölln zunehmend hippen Mate Trinkern aus Augsburg weichen müssen. Gebt Jobs an Menschen die eine Beschäftigung brauchen um der Residenzpflicht ihrer Heime in Sachsen-Anhalt entfliehen müssen und dafür ein Einkommen vorweisen müssen. Lasst mal andere entscheiden, Selbstbespassung ist nicht links oder radikal.

ND Artikel: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1172053.linke-projekte-berlin-neukoelln-spaeti-fuer-sprayer-und-autonome.html

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passiert am 11.04.2023